Ist die Arbeitsgemeinschaft für Naturgemäße Waldwirtschaft (ANW) noch auf der Höhe der Zeit?

2002 veröffentlichte der damals neu ins Amt gewählte Vorsitzende der ANW in der Allgemeinen Forstzeitschrift die Programmatik dieser Organisation (AFZ-DerWald Nr.20/2002 S.1054). Das irrationale Geschwurbel in diesem Beitrag fiel noch eine Nummer heftiger aus, als es der damalige Öko-Zeitgeist, dem sich die ANW bis heute unkritisch verbunden fühlt, erwarten ließ.

Ich habe damals in einem Artikel in der selben Zeitschrift (1) auf die intellektuelle Fragwürdigkeit vieler Betrachtungsweisen der ANW verwiesen. Erwartungsgemäß hat diese Kritik nicht gefruchtet. Heute wird hauptsächlich in der Wald/Wild-Debatte mit geradezu traumwandlerischer Sicherheit kein jagdwissenschaftliches Fettnäpfchen, mit dem man sich blamieren kann, ausgelassen.

Es wird mit der Regelmäßigkeit eines Muezzins auf die durch zu hohe Wildbestände verursachten Verbiss- und Schälschäden in unseren Wäldern hingewiesen. Niemand scheint zu bemerken, dass unser forstliches Hauptproblem in der großen Mehrzahl der Forstbetriebe (Ausnahmen bestätigen die Regel) derzeit das Überhandnehmen der Laubbaumarten ist (2), und sicher nicht die Dichte des wiederkäuenden Schalenwilds – fast per definitionem kann diese nicht zu hoch sein, wenn die, dem Wild besser schmeckenden Laubbaumarten, explodieren. Die Konsequenzen für die Wirtschaftlichkeit unserer Wälder kann sich jeder, der nur am Rande mit Forstwirtschaft zu tun hat oder hatte, an seinen fünf Fingern abzählen: die forstlichen Einnahmen sinken drastisch! (3)

Die ANW vertritt traditionell nach ihrem Selbstverständnis eine gewinnorientierte, waldbaulich reizvolle Dauerwald-Forstwirtschaft. Daher muss man sich wundern, dass die Wirtschaftlichkeit heutzutage in ihrem Kalkül scheinbar eine geringere Rolle spielt. Allerdings muss man dazu auch wissen, dass in unseren Tagen sehr viele ANW-Mitglieder aus staatlichen Forstbetrieben, aus der staatlich finanzierten Lehre und Forschung, sowie aus Verbänden und Vereinen kommen. In der großen Mehrheit also Leute, deren persönliche Einkommensverhältnisse von der Forstwirtschaft unabhängig sind.

Kürzlich konnte man die schon peinliche Unvernunft der Argumente führender ANW-Mitglieder in einem Interview der Süddeutschen Zeitung (16.Okt. 2013, R2) mit dem ANW-Vorsitzenden von Bayern (Prof. Manfred Schölch) bestätigt sehen. Traditionelle Jäger, die gerne mal einen Trophäenträger für die gute Stube erlegen, rückt der Interviewte in die Nähe Görings. Abgesehen davon, dass eine solche Anschuldigung für einen bayerischen Beamten eine krasse Entgleisung darstellt, gab es eine trophäenorientierte Jagd schon lange vor dem tausendjährigen Reich. Dazu braucht man sich nur einige der vielen Stiche von Johann Elias Ridinger (1698 – 1767) anzuschauen, wie sie auch im Jagdmuseum in München hängen. Dass der Rehbock im 20.Jahrhundert jagdlich mehr in den Vordergrund trat, hat wohl weniger mit den Nazis als mit der rasant wachsenden Jägerschar zu tun. Viele davon würden zwar gerne auch Hirsche schießen, können das aber mangels ausreichender Rotwilddichte in Deutschland nicht. Noch dazu darf sich das Rotwild in den meisten Bundesländern (darunter auch Bayern) nicht frei bewegen. Gerät es über eine behördlich verordnete Flächengrenze in “rotwildfreies” Gebiet, sind die Jäger verpflichtet das Tier abzuschießen. Ein erbärmliches Zeugnis deutscher Tierliebe und Achtung vor der Natur – was auch Graf Bertram Quadt bzw. das Rotwild selbst findet (4). Man würde sich damit abfinden, wären die Rinden-Schälschäden des Rotwilds wirklich unvermeidlich – aber sie sind es nicht, wie mittlerweile viele Reviere in Deutschland demonstrieren.

Füttern von Rehwild insbesondere mit Kraftfutter hält Schölch für einen “Irrsinn”. Anstatt mit Kraftausdrücken um sich zu werfen, wäre es wohl sinnvoller gewesen, ruhig und zielführend zu argumentieren. Im übrigen gilt: Wieso ein Waldbesitzer sein Wild jedweder Art nicht artgerecht füttern dürfen soll, muss einem erst noch erklärt werden – oder leben wir doch schon tiefer in der Ökotyrannei als manche dachten. Klar dass er auch den Neusprech für Waidgerechtigkeit bedient: “Wildtier-Management”. Dabei sitzt er dem alten deutschen Irrglauben auf, dass sich mit einer neuen Worthülse schlagartig viel am Inhalt ändert.

Lustigerweise – für einen Waldbau-Professor vielleicht tragischerweise – nennt er als Grund für die nur in Bayern jagdgesetzlich verankerte Wald-VOR-Wild – Formel die Tatsache, dass Tiere (als Konsumenten) Pflanzen (Produzenten) zum Überleben benötigen. Daher, so der Autor, muss es “Wald VOR Wild” heißen. Vermutlich weil Pflanzen vor Tieren unseren Planeten besiedelten oder in der Nahrungskette darunter stehen. Diese `tiefschürfende´ Freisinger Erkenntnis wird ungeniert zum ökologischen Grundgesetz hochgejubelt, das Kritiker der Wald-vor-Wild-Formel “nicht verstanden” hätten.

In Wirklichkeit benötigen alle Lebewesen Energiequellen zum Überleben: fast alle Pflanzen bedienen sich der Photosynthese und die meisten Tiere leben von Pflanzen oder anderen Tieren. Was das mit der jagdpolitischen Frage nach ‘Wald VOR Wild’ oder ‘Wald MIT Wild’ zu tun hat, versteht man wohl nur mit der krummen Logik eines ANW-Vorsitzenden. Wenn er glaubt, dass sein Pseudo-Grundgesetz Pflanzen und Tieren unterschiedliche Wertigkeiten verpasst, liegt er sowohl philosophisch als auch biologisch meilenweit daneben. Ich glaube, die Ökologie hat vielmehr derjenige nicht verstanden, der nicht realisiert hat, dass dieses an sich biologisch-naturwissenschaftliche Fachgebiet längst Teil einer modernen Naturschutz-Ideologie geworden ist. Es ist nicht überall Wissenschaft drin, wo Wissenschaft drauf steht – das trifft übrigens auch für Teile der Forstwissenschaft zu.

In privaten Gesprächen mit ANW-Mitgliedern stellt man oft fest: Die Herrschaften befinden sich tief in einem nahezu prähistorischen Sumpf aus esoterischem Pseudowissen. Wasseradern werden dort zu forstlich aktiven Kausalfaktoren, der Mondstand entscheidet über den Einschlagszeitpunkt.

Zum Schluss polemisiert Schölch gegen die Schalenwildfütterung, die von allen ernsthaften Wildbiologen im deutschsprachigen Raum auch für Rehwild unter bestimmten Bedingungen der heutigen Kulturlandschaft für notwendig erachtet wird (5). Ganz billig wird es, wenn er der modernen Jagd feudale Züge anhängt, da sie sich ja nicht jeder leisten könne. Natürlich kann sich nicht jeder ein Hochwildrevier mit Stein-, Gams- und Rotwild im Gebirge leisten, aber in einem Rehwild – Genossenschaftsrevier kann jeder jagen, dem das wirklich am Herzen liegt.

Waldbesitzer, die sich jetzt im vermeintlichen Sinne der “Ökologie” hinreißen lassen, auf ihr immer noch an Grund und Boden gebundenes Jagdrecht zu verzichten, wie Schölch am Ende des Interviews vorschlägt, werden eines Tages aufwachen und ihr Wald wird ebenfalls sozialisiert sein. Den meisten akademischen Forstleuten kann es recht sein. Die ärgern sich zumindest halb öffentlich (siehe das berüchtigte Theßenvitz-Papier (6)) ohnehin schon über die Sturheit und Begriffsstutzigkeit nicht nur der Jäger sondern auch der Waldbesitzer.

Die letzte gigantische Fehlplanung der Forstwissenschaft und -verwaltung vor gut 100 Jahren, nämlich die Pflanzungen von reiner Fichte oder Kiefer auf riesigen Flächen im Sinne der Bodenreinertragslehre, war ebenfalls den Köpfen von Forstprofessoren entsprungen. Jetzt springt man voller Begeisterung auf den Zug in die entgegengesetzte Richtung. Diesmal aber noch deutlich stärker zum Nachteil der Waldbesitzer, aber dafür aus hehren Gründen: Klimaumbau, Biodiversität, Ökologie, etc. Nichts davon ist wissenschaftlich in seiner Komplexität einigermaßen überschaubar und vorhersagbar, aber der forstliche deutsche Gutmensch hat ein neues Betätigungsfeld: er rettet mal wieder den deutschen Wald. Dass der erste Rettungsversuch (Waldsterben) eine glatte und sehr teure Fehlleistung war, wird geflissentlich übersehen. Trotzdem: Auf zur zweiten noch mehr Geld fressenden Aktion. Ein Resultat ist jetzt schon offensichtlich: wir steuern im Durchschnitt der ganzen Republik derzeit auf einen Laubholzanteil von 60% und mehr zu. Alles über 20/30% wird zu spürbaren wirtschaftlichen Nachteilen für die Waldbesitzer führen und für die Holzindustrie (7), das verschweigt man den Betroffenen aber. Dass die waid- und tierschutzgerechte (= ökosystemgerechte) Jagd dabei sozusagen als Beifang geopfert wird und das gesetzlich geschützte artgerechte Leben des Schalenwildes ebenso (8), wird dabei billigend in Kauf genommen.

Es bleibt eine sichere Erkenntnis: Einiges ist faul im Freistaat Bayern – wenigstens im Komplex Wald-Wild-Forst.

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