Väterchen Forst – oder wie sich ein deutscher Ökologe und die Süddeutsche Zeitung (Forst-)Wissenschaft vorstellen

Das Magazin der Süddeutschen Zeitung vom 20. Dez 2013 veröffentlichte auf den ersten Seiten unter dem neckischen Titel “Väterchen Forst” ein Interview mit dem Direktor des Max-Planck-Instituts für Biogeochemie in Jena, Ernst-Detlef Schulze.

Das Interview offenbart mal wieder überdeutlich die Öko-Ideologie der SZ und die wissenschaftstheoretischen Probleme der Ökowissenschaften. Bedingt durch unreflektiertes Sendungsbewusstsein ihrer professoralen Vorkämpfer im Verein mit deren mangelndem Wissenschaftsverständnis wird viel Ungegartes verbreitet.

Sehr prägnant wurde die Problematik kürzlich vom ehemaligen Direktor des CERN (Conseil Européen pour la Recherche Nucléaire), Pierre Darriulat, auf den Punkt gebracht (1). Dabei ging es zwar um die Klimaforschung, aber die sitzt wissenschaftstheoretisch in einem ähnlichen Jammertal. Vom Waldsterben über das Artensterben bis zum Klimawandel fühlen sich Herrschaften, die gesetzlich zur Suche nach der Wahrheit verpflichtet sind und dafür vom Staat bezahlt werden (2), bemüßigt, ihren Weltrettungsimpulsen nachzugehen. Dies wird ihnen von der Gesellschaft gedankt. Forschungsgelder sprudeln fürstlich und die Medien reißen sich um die Weltretter. Zur Rechenschaft werden sie praktisch gar nicht gezogen.

Geopfert wird die Glaubhaftigkeit der Wissenschaft. Aber das, so denken wohl die extremen Exponenten des Rettungswahns, ist ein kleiner Preis für eine große Aufgabe.

Ernst-Detlef Schulze war schon zu Zeiten des Waldsterbens ein verantwortungsvoller Gutmensch. Im hier besprochenen Interview meint er, dem Wald ginge es heute im Vergleich zu den Zeiten des Waldsterbens ausgezeichnet. Implikation: Wir Helden der Pflanzenökologie haben den deutschen Wald vor dem Untergang gerettet. Kein Wort darüber, dass es nie einen einzigen objektiven Nachweis für ein flächiges Symptom oder Syndrom des Waldsterbens in Deutschland gegeben hat. Seit es Messungen gibt, oszillieren alle Baumarten ohne klare Synchronisation unregelmäßig auf und ab, so auch die Fichte (3). Den Zustand vor den Messungen kennt außerdem niemand. Bei einer gemeinsamen Ursache (Schwefelvergiftung) müsste man natürlich erwarten, dass die Kurven der verschiedenen Baumarten parallel zum Verlauf der Schwefel-Entgiftung der Luft verlaufen müssten. (Mal angenommen, die Messungen seien zuverlässig.) Ganz im Gegenteil, der Verlauf der Entgiftung (4) spiegelt sich in den Kurven der Kronendichte nicht wider. Außerdem wuchs der Wald in der Zeit des Siechtums besser denn je (5). Einige Untergangspropheten interpretierten das flugs in ihrem etwas absurden Sinne: Sie meinten der Wald wachse sich nun zu Tode. Auch das ist zwar theoretisch vorstellbar, aber Hinweis gab und gibt es bis heute absolut keinen.

Wie fast alle selbsternannten Ökologen lamentiert Schulze auch über die flach wurzelnden Fichten, die nur aus Geldgier angepflanzt worden seien. Die flachen Wurzeln führen zu Kalamitäten und jetzt wünscht sich die Öffentlichkeit, nach der Meinung Schulzes, mehr Laubbäume. Jeder, der sich die spärliche Literatur zur flachen Wurzel der Fichte anschaut, stellt schnell fest, wie schwach diese These objektiv untermauert ist. Solche Daten sind schwer zu beschaffen, aber dann kann man eben den Mund nicht so voll nehmen. Außerdem erscheint klar, dass die Fichten von 1930 bis 2000 miserabel gepflegt wurden. Es entstanden, und es stehen bis heute auf erheblichen Flächen, immer noch schwach bekronte Fichten- und Kiefern-Zahnstocherforste. Dass die nicht besonders stabil sein können, sollte eigentlich jedem biologisch einigermaßen versierten Spaziergänger auffallen – unseren gut bezahlten Fachleuten blieb (und vielen bleibt) die Erkenntnis scheinbar verborgen, denn sie erwähnen sie so gut wie nie. Die Mehrzahl der öffentlich vernehmbaren Forstleute schreit geradezu nach einem Baumartenwechsel – heutzutage auch Klimaumbau genannt – und die Bevölkerung folgt ihnen. So verläuft die Kausalkette, vom Förster zur Öffentlichkeit, und nicht umgekehrt, wie Schulze suggeriert. Ganz forsche Fachleute wissen auch heute schon, wie die verschiedenen Baumarten auf die Erwärmung reagieren werden. Ob die Erwärmung überhaupt je eintreten wird, bzw. ob sie sich je so garvierend wie befürchtet auswirken wird, steht in den Sternen. Bekanntlich ist es weltweit in den letzten 17 Jahren nicht mehr wärmer geworden.

Unbestreitbar erhöhen gemischte Bestände sowohl den Ertrag als auch die Standsicherheit. Aber qualitative Feststellungen, wie z.B. Buchen erhöhen die Wuchskraft der Fichten und deren Stabilität, wie sie in Forstkreisen so beliebt sind, helfen nicht weiter, nur quantitative. Wie viel Laubholz wollen wir an welchen Standorten haben? Welcher Buchenanteil in einem Mischbestand erhöht die Stabilität um wie viel? Lassen wir die Standorte außen vor, können wir aus verschiedenen vegetationskundlichen Untersuchungen ablesen, wo wir in den einzelnen Bundesländern oder auch der ganzen Republik stehen, bzw. wenn wir die Entwicklung über die Jahre verfolgen, wo die Reise hingeht: Die Anteile der Laubhölzer an den zukünftigen Wäldern nehmen dramatisch zu (6). Vermutlich weniger weil das Rehwild entsprechend reduziert wurde, sondern eher weil im Gefolge der großen Kalamitäten seit Wiebke und Co die Wälder aufgelichtet wurden und viel mehr Licht auf den Boden durchdringt. Unter diesen Bedingungen explodiert die Verjüngung der Bäume weitgehend unabhängig vom Wildbestand. Gleichzeitig verbessert sich die Nahrungsgrundlage des Wildes enorm. So löst sich auch das Rätsel, wieso wir immer mehr Rehwild in den Wäldern zählen, obwohl immer mehr geschossen wird.

Normalerweise käme an dieser Stelle des Interviews ein Lobgebet zur Verherrlichung des Laubholzes. Man ist erleichtert, dass Herr Schulze sich da zurückhält. Im Gegensatz zu vielen Kollegen, versteht er offensichtlich, dass Laubholz ab einer gewissen Häufigkeit das Ende einer ertragreichen Forstwirtschaft und auch der Holzindustrie in Deutschland bedeutet. Der Komplex Forstwirtschaft und Holzindustrie bildet heute noch einen der stärksten Wirtschaftsverbunde im Lande (7).

Statt wie sonst üblich das Laubholz anzubeten wird aber, das musste wohl sein, das wiederkäuende Schalenwild verteufelt. Aus seiner persönlichen Erfahrung – und expressis verbis nur aus dieser – zog Herr Schulze nämlich die fundamentale Erkenntnis, dass Rehe ab einer gewissen Dichte alles vernichten, – außer der Buche. Hätte er gesagt “außer Buche und Fichte”, könnte man stirnrunzelnd zustimmen, wohl wissend, dass es in der Forstwissenschaft von wissenschaftlich nicht oder kaum abgesicherten Weisheiten gerade so wimmelt.

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